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Angststörungen – GAD
Plädoyer für eine differenzierte Betrachtung der Indikation zur Kombinationstherapie
Dr. med. Dr. scient. pth. Dipl.-Psych. Reinhard J. Boerner,
Christliches Krankenhaus GmbH, Quakenbrück
Berlin (23. November 2011) – Die Kombination von Pharmakotherapie (Phth.) und Psychotherapie (Psych.) bei GAD (Angststörungen) wird unterschiedlich beurteilt, entsprechende Pro-Con-Empfehlungen stützen sich einerseits auf Studien zur Kombinationstherapie (KT), andererseits auf vermeintliche Anforderungen der klinischen Praxis.
Eine a priori KT ist jedoch weder durch die empirische Datenlage, noch durch eine allgemeine Indikation bzw. auch nicht unter Berücksichtigung ökonomischer Aspekte gerechtfertigt.
Demgegenüber lässt sich eine KT bei GAD (Angststörungen) allenfalls unter Berücksichtigung spezifischer Kriterien begründen. Statt einer pauschalen Pro-ConEmpfehlung ist eine wesentlich differenziertere Diskussion und Bewertung der KT-Frage zu fordern.
Vor Initiierung einer KT sind zu bedenken: Wurden Therapiestandards tatsächlich eingehalten, sind Ressourcen der Versorgungspraxis überhaupt verfügbar, macht die Komorbidität bei Angststörungen diese unbedingt erforderlich und nicht zuletzt, ist der therapeutische Aufwand im Vergleich zum Nutzen ökonomisch gerechtfertigt?
Vergessen wird zuweilen, dass schon jede Phth. bei adäquater Durchführung einen psychotherapeutischen Ansatz beinhaltet und daher als ein spezifischer Ansatz einer KT zu werten ist.
Die aus den verschiedenen Therapietheorien abgeleiteten Positionen zur KT sind widersprüchlich und z.T. gegensätzlich, beispielsweise bei der Verhaltenstherapie (Grawe, 2004; Margraf, 2000, Ehlers et al., 1991), wie auch bei der Psychoanalyse bzw. bei psychodynamischen Ansätzen (Beutel et al., 2004; Kandel, 2006; Hoffmann & Bassler, 1995; Leuzinger‑Bohleber, 2010; Ermann, 1993).
Das Pro/Kontra beeinflusst (un-)bewusst das therapeutische Handeln und kann sich entsprechend auf den Therapieeffekt bei KT (z.B. additiv, neutral, negativ) auswirken.
KT’s stellen hochkomplexe Therapieverfahren dar, die spezifische wie unspezifische Effekte unterschiedlicher Interventionen beinhalten (Hollon et al., 1991).
In den letzten Jahrzehnten wurden verschiedene Metaanalysen zur KT bei Angststörungen durchgeführt, die auch Studien zur GAD beinhalteten (Boerner, 2012). Bemerkenswert war, dass identische Ergebnisse je nach grundsätzlicher Bewertung der Kombination unterschiedlich bewertet wurden.
Zur GAD sind bisher nur 2(!) Studien durchgeführt worden; eine Studie beinhaltete problematische Phth. Während für die GAD somit die empirische Datenbasis für eine Therapieempfehlung unzureichend ist, kann unter allen Angststörungen lediglich für die Panikstörung eine positive Empfehlung begründet werden (Hoffmann et al., 2009; Boerner, 2011) .
Die durchgeführten Metaanalysen basieren jedoch auf Studien, deren methodische Qualität häufig zweifelhaft ist. Anzuführen sind hier u.a. geringe Studienzahl, nur wenige Studien mit intent-to-treat‑Daten, viele Psych. Studien mit Begleitmedikation, die Nicht‑Berücksichtigung unspezifischer Wirkfaktoren der Psych. sowie die vermutliche Unterbewertung der Psych. bei standardisiertem Vorgehen.
Die KT ist somit nicht generell, sondern nur bei spezifischen Indikationen begründbar, so bei Therapieresistenz, ausgeprägter Komorbidität sowie Berücksichtigung der Kosten‑NutzenRelation.
Statt eines Postulats einer generellen KT („viel hilft viel") ist für die klinische Praxis vielmehr ein integratives therapeutisches Denken auf dem Hintergrund eines systemischen Therapieund Störungsmodells zu fordern, das Therapieinterventionen je nach klinischer Notwendigkeit erlaubt und ggf. kombiniert.
Da wesentliche Fragen zur KT wissenschaftlich bisher nicht beantwortet sind, ist eine methodisch differenziertere Forschung erforderlich, die auf eine qualitativ verbesserte Outcome-Forschung, eine Therapieprozessforschung sowie auf die Analyse unspezifischer Faktoren fokussiert.
Abbildung
Abb. Psychotherapie vs. medikamentöse Behandlung bei Angststörungen.
Literatur
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Quelle: Symposium der Firma Pfizer Pharma zum Thema „GAD näher beleuchtet: Gibt es eine reine GAD? Welche Therapie ist die beste?“ am 23.11.2011 in Berlin. (tB)