MEDIZIN

DOC-CHECK LOGIN

Kardiovaskuläre Komplikationen bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung

Von Prof. Dr. Jan Galle, Lüdenscheid

Berlin (26. März 2008) — Mediasklerose, Sekundärer Hyperparathyreoidismus, Entzündung und AnämieKardiovaskulärer Ereignisse – auch mit Todesfolge – treten bei niereninsuffizienten Menschen gehäuft auf. Über 50 % (Gemäß www.quasi-niere.de ) aller Todesfälle von Dialysepatienten im Jahr 2005 waren kardial oder vaskulär bedingt. Als wesentliche Ursache für das gehäufte Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse in dieser Patientenklientel gilt eine spezielle Form der Gefäßverkalkung, die Mediasklerose. Sie entwickelt sich häufig bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung zusätzlich zur „normalen“ Gefäßverkalkung (Arteriosklerose), die wiederum durch die bekannten Risikofaktoren Bluthochdruck, Diabetes, Rauchen, Fettstoffwechsel-störungen, Übergewicht und Bewegungsmangel massiv verstärkt wird.

Bei der Mediasklerose handelt es sich um eine Verkalkung, ja sogar „Verknöcherung“ der mittleren Schicht der Gefäßwände (= Media). Die weichen Zellen der Gefäßwand verlieren ihre muskulären Eigenschaften, erstarren und wandeln sich in knochenähnliche Zellen um. Die Folge: Statt weicher, flexibler Blutgefäße bekommen die Patienten steinharte Adern. Sie können das Herz nicht unterstützen, was längerfristig zu schweren kardialen Problemen führen kann. Die Mediasklerose ist nicht monokausal erklärbar – viele Faktoren spielen eine Rolle.

Als ein wesentlicher Katalysator gilt jedoch der sekundäre Hyperparathyreoidismus (sHPT), der eine häufige Folge- oder Begleiterkrankung der chronischen Niereninsuffizienz ist. Man geht davon aus, dass etwa 80 % der Patienten mit einem Kreatininwert über 5 mg/dl [440 μmol/l] einen sHPT entwickeln.Die Erkrankung beginnt aber schon viel früher: Ab einem Kreatininwert von etwa 1,8 mg/dl ist die Sekretion des Parathormons (PTH) gesteigert. Niereninsuffiziente Patienten können nur noch vermindert Phosphat ausscheiden, was zu einem dauerhaft erhöhten Phosphatspiegel führt. Durch diese erhöhte Phosphatkonzentration wird freies Kalzium komplex gebunden, was zur Folge hat, dass der Kalziumspiegel sinkt. Außerdem bilden die kranken Nieren zu wenig aktives Vitamin D. Dies führt zu einer verminderten Kalziumaufnahme im Darm. Durch den permanenten Kalziummangel werden die Nebenschilddrüsen aktiviert und schütten vermehrt PTH aus, um den Kalziumspiegel anzuheben. Das ausgeschüttete Hormon stimuliert die Freisetzung von Kalzium und Phosphat aus den Knochen. Das kann im Laufe der Zeit jedoch zu einem Abbau der Knochensubstanz mit erheblichen Auswirkungen auf das Skelettsystem führen, bis hin zu pathologischen Frakturen. Das Problem beim sHPT ist, dass die Nebenschilddrüsen ihre Fähigkeit zur Regulierung verlieren – und de facto „verrückt spielen“. D.h. auch wenn der Kalziumspiegel im Blutserum aufgrund des sHPT hoch ist und die PTH-Ausschüttung eigentlich eingestellt werden könnte, produzieren die Nebenschilddrüsen weiterhin PTH. Es ist, als wäre ein Perpetuum Mobile angestoßen: Unkontrolliert und endlos werden Kalzium und Phosphat aus den Knochen herausgelöst. Neben den Folgen am Knochen – die Patienten bilden eine manifeste Osteoporose aus – hat der Kalzium- und Phosphatüberschuss im Blut auch schwerwiegende Auswirkungen auf das kardiovaskuläre System und damit auch auf das Überleben der Patienten. Die hohen Kalzium- und Phosphatkonzentrationen forcieren das Fortschreiten der Mediasklerose, da sich die Kalzium-Phosphatverbindungen offensichtlich in den Gefäßen und Weichteilen absetzen. Der sHPT, der wie beschrieben den gestörten Mineralstoffmetabolismus nach sich zieht, gilt als eine der Hauptursachen für die gefährliche Mediasklerose. Und da zu hohe Phosphat-, Kalzium- oder PTH-Werte mit einem deutlich erhöhten Mortalitätsrisiko korrelieren, definieren internationale Richtlinien Zielwerte für die einzelnen Mineralstoffparameter. Wichtigste Herausforderung der Nephrologie ist, möglichst viele Patienten mit allen Werten in die definierten Zielbereiche zu bringen, was jedoch trotz verschiedener medikamentöser Therapien (Phosphatbinder und „PTH-Senker“ wie Kalzimimetika oder Vitamin-D-Analoga) in der Praxis schwierig ist.

Die K/DOQI-Leitlinien setzen folgende Werte fest: Doch die hohe kardiovaskuläre Mortalität von Dialysepatienten ist nicht allein dem sHPT zuzuschreiben – auch erhöhte Entzündungsparameter spielen offensichtlich eine Rolle. Insbesondere das C-reaktive Protein (CRP) ist mehr als „nur“ ein Marker für Entzündungen und Infekte, in den letzten Jahren hat es sich zunehmend auch als Prädiktor für kardiovaskuläre Erkrankungen etabliert. Eine Studie[1], die über 28.000 gesunde, postmenopausale Patientinnen einschloss, wies bei den Studien-Teilnehmerinnen mit den höchsten CRP-Werten ein um den Faktor 4,4 erhöhtes relatives Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse nach. Aufgrund zahlreicher Nachfolgestudien empfiehlt die American Heart Association seit 2003, bei der Risikoevaluation für koronare Herzerkrankungen neben etablierten Werten wie Hypertonie, Hyperlipidämie oder Rauchen auch das CRP mit aufzunehmen.

Galten früher Werte unter 5 mg/l als klinisch irrelevant, weil nicht hinweisend auf Infektionen, so werden heute Werte zwischen 2 und 5 mg/l als Zeichen eines erhöhten Herz-Kreislauf-Risikos eingeschätzt. Dialysepatienten haben im Vergleich zur Normalbevölkerung ein ständig – durchschnittlich sogar um das Zehnfache – erhöhtes CRP. Allein 35-45 % der Patienten befinden sich im Stadium einer manifesten Inflammation – mit CRP-Werten zwischen 5 und 50 mg/l. Verschiedene Studien weisen gerade bei diesen Patienten auf eine Korrelation zwischen CRP-Werten und Mortalität hin [2]. Auch die Verbindung zwischen Inflammation und der Mediasklerose [3] gilt als nachgewiesen. Ein Problem ist allerdings die hohe Variabilität des CRP – so gibt es intraindividuelle Schwankungen von bis zu 42 %, was die Zuverlässigkeit des CRP-Wertes als Prädiktor beeinträchtigen kann [4]. Serum-iPTH: 150-300 pg/ml Serum-Kalzium: 8,4 – 9,5 mg/dl Serum-Phosphat: 3,5 – 5,5 mg/dl Kalzium-Phosphat-Produkt: < 55 mg2/dl2 Die Erkenntnisse werfen neue Fragen auf: Kann eine therapeutische CRP-Senkung auch zu einer Verminderung des kardiovaskulären Risikos führen? Ist die Hemmung der Inflammation somit eine geeignete Präventions- und Interventionsmaßnahme gegen kardiale Ereignisse?

Auch besteht offensichtlich ein Zusammenhang zwischen hohen CRP-Spiegeln und der Anämie. Eine Studie [5] von 2002 zeigte, dass hohe CRP-Werte im Prädialysestadium mit einem schlechteren Ansprechen auf die Anämietherapie mit Erythropoetin („EPO“) assoziiert sind. Die renale Anämie per se ist ebenfalls ein kardialer Risikofaktor und sollte auf jeden Fall therapiert werden. Den großen Anämiestudien vom letzten Jahr – CHOIR [6] und CREATE [7] – zufolge, sollte aber eine Hb-Überkorrektur vermieden werden und lediglich Werte zwischen 11 und 13 g/dl angestrebt werden, da in diesen Studien nicht nur niedrige Hb-Werte, sondern auch höhere Werte mit einem erhöhten kardiovaskulären Mortalitätsrisiko zu korrelieren schienen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Mehrere Faktoren begünstigen das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Um der hohen Mortalität von Dialysepatienten Einhalt zu gebieten, ist eine umfassende Therapie erforderlich, die sowohl die Anämie, die Inflammation sowie den gestörten Mineralstoffmetabolismus in seiner gesamten Komplexität erfasst. Der Nephrologe muss somit an verschiedenen Fronten gegen ein- und denselben Gegner kämpfen.


Literatur

  1. Ridker P et al. C-Reactive Protein and Other Markers of Inflammation in the Prediction of Cardiovascular Disease in Women. NEJM 2000; 342: 836.
  2. Zimmermann J, Herrlinger S, Pruy A, et al. Inflammation enhances cardiovascular risk and mortality in hemodialysis patients. Kidney Int 1999; 55: 648-58.
  3. Stenvinkel P et al. Inflammation and Outcome in End-Stage Renal Failure. Kidney Int 2002; 62 (5): 1791-1798.
  4. Kaysen GA, Dubin JA, Muller HG, et al. The acute-phase response varies with time and predicts serum albumin levels in hemodialysis patients. The HEMO Study Group. Kidney Int 2000 Jul;58(1):346-52.
  5. Ortega O. et al. Significance of High C-Reactive Protein Levels in Pre-Dialysis Patients. Nephrol.Dial.Transplant 2002; 17 (6): 1105-1109.
  6. Singh AK et al. Correction of anemia with epoetin alfa in chronic kidney disease N Engl J Med 2006; 355:2085-2098.
  7. Druecke TB et al. Normalization of hemoglobin level in patients with chronic kidney disease and anemia.N Engl J Med 2006; 355: 2071-2084.


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Nephrologie, 26.03.2008 (tB).

Schlagwörter:

MEDICAL NEWS

IU School of Medicine researchers develop blood test for anxiety
COVID-19 pandemic increased rates and severity of depression, whether people…
COVID-19: Bacterial co-infection is a major risk factor for death,…
Regenstrief-led study shows enhanced spiritual care improves well-being of ICU…
Hidden bacteria presents a substantial risk of antimicrobial resistance in…

SCHMERZ PAINCARE

Hydromorphon Aristo® long ist das führende Präferenzpräparat bei Tumorschmerz
Sorgen und Versorgen – Schmerzmedizin konkret: „Sorge als identitätsstiftendes Element…
Problem Schmerzmittelkonsum
Post-Covid und Muskelschmerz
Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln

DIABETES

Wie das Dexom G7 abstrakte Zahlen mit Farben greifbar macht…
Diabetes mellitus: eine der großen Volkskrankheiten im Blickpunkt der Schmerzmedizin
Suliqua®: Einfacher hin zu einer guten glykämischen Kontrolle
Menschen mit Diabetes während der Corona-Pandemie unterversorgt? Studie zeigt auffällige…
Suliqua® zur Therapieoptimierung bei unzureichender BOT

ERNÄHRUNG

Positiver Effekt der grünen Mittelmeerdiät auf die Aorta
Natriumaufnahme und Herz-Kreislaufrisiko
Tierwohl-Fleisch aus Deutschland nur mäßig attraktiv in anderen Ländern
Diät: Gehirn verstärkt Signal an Hungersynapsen
Süßigkeiten verändern unser Gehirn

ONKOLOGIE

Strahlentherapie ist oft ebenso effizient wie die OP: Neues vom…
Zanubrutinib bei chronischer lymphatischer Leukämie: Zusatznutzen für bestimmte Betroffene
Eileiter-Entfernung als Vorbeugung gegen Eierstockkrebs akzeptiert
Antibiotika als Störfaktor bei CAR-T-Zell-Therapie
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Spezielle Diät kann Erfolg der Chemotherapie beeinflussen

MULTIPLE SKLEROSE

Multiple Sklerose: Aktuelle Immunmodulatoren im Vergleich
Neuer Biomarker für Verlauf von Multipler Sklerose
Multiple Sklerose: Analysen aus Münster erhärten Verdacht gegen das Epstein-Barr-Virus
Aktuelle Daten zu Novartis Ofatumumab und Siponimod bestätigen Vorteil des…
Multiple Sklerose durch das Epstein-Barr-Virus – kommt die MS-Impfung?

PARKINSON

Meilenstein in der Parkinson-Forschung: Neuer Alpha-Synuclein-Test entdeckt die Nervenerkrankung vor…
Neue Erkenntnisse für die Parkinson-Therapie
Cochrane Review: Bewegung hilft, die Schwere von Bewegungssymptomen bei Parkinson…
Technische Innovationen für eine maßgeschneiderte Parkinson-Diagnostik und Therapie
Biomarker und Gene: neue Chancen und Herausforderungen für die Parkinson-Diagnose…