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45. Münchener Fachpresse-Workshop

Zielgerichtete und chemotherapiefreie Regime
in der Senologie, gynäkologischen Onkologie und Hämatologie

 

München (25. Juni 2019) — Neuigkeiten zu zielgerichteten onkologischen Therapien, die bei den diesjährigen Jahreskongressen der American Society of Clinical Oncology (ASCO) und der European Hematology Association (EHA) präsentiert worden waren, bildeten den thematischen Rahmen des 45. Münchener Fachpresse-Workshops. Bei jungen Frauen mit fortgeschrittenem Hormonrezeptor-positivem, HER2-negativem Mammakarzinom ist die Kombination aus CDK4/6-Inhibition und endokriner Therapie die beste Option, berichtete Prof. Nadia Harbeck, München. So hatte die Ergänzung der endokrinen Therapie mit Ribociclib (Kisqali®) erstmalig zu einer signifikanten Verlängerung des Gesamtüberlebens in diesem Kollektiv geführt. Die PARP-Inhibition bildet derzeit das wichtigste Thema in der gynäkologischen Onkologie, konstatierte Dr. Klaus Pietzner, Berlin. Nachdem PARP-Inhibitoren wie Niraparib (Zejula®), Olaparib und Rucaparib in der Erhaltungstherapie des rezidivierten Ovarialkarzinoms zu noch nie beobachteten Verbesserungen des progressionsfreien Überlebens geführt hatten, werden die Substanzen nun als Erhaltungstherapie in der Erstlinie und in zahlreichen anderen Settings und Kombinationen geprüft. Der BCL-2-Inhibitor Venetoclax (Venclyxto®) führte in Kombination mit dem Anti-CD-20-Antikörper Obinutuzumab bei unbehandelten Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL) zu einem signifikant längeren progressionsfreien Überleben sowie signifikant höheren Raten an kompletten Remissionen und MRD-Negativität im Vergleich zu Chlorambucil+Obinutuzumab. Weitere Studienkonzepte mit Venetoclax seien geplant, berichtete Prof. Clemens Wendtner, München.

Prä- oder perimenopausale Frauen mit fortgeschrittenem Hormonrezeptor (HR)-positivem, HER2-negativem Mammakarzinom profitieren von der Ergänzung ihrer endokrinen Therapie mit dem CDK4/6-Inhibitor Ribociclib (Kisqali®). Dieser hatte in der Phase-III-Studie MONALEESA-7 in Kombination mit einer endokrinen Therapie das progressionsfreie Überleben (PFS) der Frauen gegenüber einer alleinigen antihormonellen Therapie signifikant verlängert (HR 0,55, 95% CI: 0,44-0,69; p<0,0001). (1) Auf dem Jahreskongress der ASCO 2019 wurde nun eine Interimsanalyse zum zentralen sekundären Endpunkt, dem Gesamtüberleben (OS), präsentiert – „für mich das Highlight des gesamten ASCO 2019“, berichtete Prof. Nadia Harbeck, München. (2) Harbeck, Co-Autorin der zeitgleich im New England Journal of Medicine publizierten Studie (3) und Studienleiterin in Deutschland hatte das Studiendesign maßgeblich mit entwickelt: 672 Frauen mit fortgeschrittenem HR-positivem, HER2-negativem Mammakarzinom, die noch keine endokrine Therapie und maximal eine Chemotherapie für ihre fortgeschrittene Erkrankung erhalten hatten, erhielten in einer 1:1 Randomisation entweder 600 mg Ribociclib täglich über 3 Wochen gefolgt von einer Woche Pause zusätzlich zu einer endokrinen Therapie, die aus Goserelin plus einem nichtsteroidalen Aromatasehemmer (Letrozol oder Anstrozol) oder plus Tamoxifen bestand, oder ein Placebo nach demselben Schema wie Ribociclib zusammen mit der endokrinen Therapie. Die Patientinnen im Verum-Arm waren im Median 43 Jahre alt, im Placebo-Arm 45 Jahre.

 

Ribociclib + endokrine Therapie verlängert OS signifikant

„Das PFS war mit 23,8 Monaten im Ribociclib-Arm gegenüber 13 Monaten im Placebo-Arm sehr deutlich verlängert, nahezu verdoppelt, worden“, fasste Harbeck die Auswertung des primären Studienendpunkts noch einmal zusammen. „Dass sich diese Daten so eindrucksvoll in ein signifikant verlängertes Gesamtüberleben fortgesetzt haben, freut mich ungemein, weil wir den Patientinnen jetzt wirklich Mut machen können, die Therapie weiterzuführen“. Zum Zeitpunkt des Datenschnitts der Interimsanalyse war das mediane OS noch nicht erreicht, im Placebo-Arm mit alleiniger endokriner Therapie lag es bei 40,9 Monaten (HR 0,712; 95% CI: 0,54 – 0,95; p = 0,00973). „Das relative Risiko zu versterben wurde durch die zusätzliche Gabe von Ribociclib damit um 29% reduziert“, kommentierte Harbeck. Die geschätzte Überlebensrate nach 42 Monaten lag unter der Ribociclib-haltigen Kombinationstherapie bei 70,3% gegenüber 46,0% unter der alleinigen endokrinen Therapie. „In der Subgruppe der Patientinnen, die zu Goserelin einen Aromatasehemmer erhalten hatten, war das Risiko zu versterben mit einer Hazard Ration von 0,699 um rund ein Drittel reduziert“, ergänzte Harbeck.

Ähnlich überzeugende Daten wurden bei der Zeit bis zur ersten nachfolgenden Chemotherapie beobachtet: Auch hier war der Median im Ribociclib-Arm noch nicht erreicht, während die mediane Zeit bis zur ersten Chemotherapie unter alleiniger endokriner Therapie bei 36,9 Monaten lag. „Diese Zahlen zeigen zum einen, dass wir hier eine Therapie haben, die die Erkrankung lange kontrollieren kann, und zum anderen ist es wichtig, dass die Frauen durch die zusätzliche Gabe von Ribociclib eine Chemotherapie mit ihren Belastungen und Nebenwirkungen erst viel später bekommen.“ Harbeck stellte außerdem Zahlen zum PFS 2 vor, also dem Zeitintervall von der Randomisation bis zum Zeitpunkt der Progression unter der auf die Studientherapie folgenden Therapie. Diese betrug im Median im Placebo-Arm 32,3 Monate, im Ribociclib-Arm war der Median wiederum noch nicht erreicht (HR für Progression oder Tod 0,69; 95% CI: 0,55 – 0,87). „Damit können wir Befürchtungen, die Tumoren würden durch die wirksame Therapie mit dem CDK4/6-Inhibitor vielleicht aggressiver, entkräften“, so Harbeck.

 

Normales Arbeitsleben unter der Therapie mit Ribociclib möglich

Bei der Analyse der Daten zur Verträglichkeit der Therapie wurden keine neuen Sicherheitssignale registriert, das Sicherheitsprofil von Ribociclib blieb konsistent mit den Daten, die in vorangegangenen Analysen der MONALEESA-7-Studie erfasst worden waren. Von besonderem Interesse sind Grad-3/4-Hämatotoxizitäten. Bei 63,5% der Frauen im Verum-Arm kam es zu Grad-3/4-Neutropenien. „Wir haben es hier aber nicht mit einer Myelosuppression wie bei einer zytotoxischen Chemotherapie zu tun. Durch den CDK4/6Inhibitor werden die Vorläuferzellen nicht abgetötet. Das Blutbild erholt sich in der einwöchigen Therapiepause sehr schnell, so dass die Neutropenien in der Klinik keine Rolle spielen“, erklärte Harbeck. So lag auch die Rate an febrilen Neutropenien in beiden Studienarmen bezeichnenderweise nur bei 1% und damit sei auch keine G-CSF-Prophylaxe erforderlich, wie Harbeck berichtete. Im Rahmen der MONALEESA-7-Studien ebenfalls erfasst wurde die Arbeitsproduktivität, die im Placebo- und im Ribociclib-Arm ähnlich war. „Die Frauen lebten unter der Therapie ein ganz normales Alltagsleben im Beruf“, so Harbeck.

 

Ribociclib: Umfassende Zulassung für das fortgeschrittene Mammakarzinom – Studien im frühen Krankheitsstadium

„Mit Ribociclib wurde in der MONALEESA-7-Studie zum ersten Mal eine statistisch signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens bei Patientinnen mit fortgeschrittenem Mammakarzinom durch einen CDK4/6-Inhibitor in Kombination mit einer endokrinen Therapie erreicht“, so Harbeck abschließend. Damit sei Ribociclib + GnRH-Analogon + Aromatasehemmer der neue Standard für die Erstlinientherapie des HR-positiven, HER2-negativen Mammakarzinoms bei prämenopausalen Frauen, wobei es sich bei den aktuell publizierten Daten aufgrund des noch nicht erreichten Medians im Ribociclib-Arm formell um unreife Daten handele. Die überzeugenden Daten der MONALEESA-7-Studie könnten aber aufgrund der umfassenden Zulassung von Ribociclib umgehend in die klinische Praxis umgesetzt werden, so die Leiterin des Brustzentrums der Universität München. Ribociclib ist derzeit zugelassen zur Therapie des HR-positiven, HER2-negativen, lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinoms in Kombination mit einem Aromatasehemmer oder Fulvestrant. Noch gibt es keinen therapieentscheidenden Biomarker zur Prädiktion des Ansprechens auf den CDK4/6-Inhibitor. Derzeit rekrutiert die NataLEE-Studie, die eine endokrine Therapie +/- Ribociclib bereits als adjuvante Therapie bei Frauen mit frühem Mammakarzinom untersuchen wird (NCT03701334). Auch die laufende WSG ADAPTcycle-Studie evaluiert den Einsatz von Ribociclib beim frühen HR-positiven, HER2-negativen Mammakarzinom.

 

Herausragende Wirksamkeit der PARP-Inhibition beim platinsensiblen Ovarialkarzinomrezidiv

Einen aktuellen Blick auf die Einsatzmöglichkeiten von PARP-Inhibitoren beim Ovarialkarzinom warf Dr. Klaus Pietzner, Berlin. Diese seien derzeit das große Thema in der gynäkologischen Onkologie, so der Oberarzt an der Klinik für Gynäkologie der Charité. Zwar sei man in der Therapie des ausgesprochen heterogenen Ovarialkarzinoms noch weit entfernt von individuellen, maßgeschneiderten Therapiestrategien, wie sie zum Teil in der Therapie des Mammakarzinoms möglich seien. Dennoch sei auch das Management des Ovarialkarzinoms nach den Zulassungen von Bevacizumab und den PARP-Inhibitoren im Zeitalter der zielgerichteten Therapien angekommen. „Die DNA-Reparatur ist im menschlichen Körper ein unfassbar wichtiger und ständig benötigter Prozess“, berichtete Pietzner. Umso eleganter sei der Wirkmechanismus der PARP-Inhibitoren. Tumorzellen, bei denen aufgrund von BRCA-Mutationen oder anderen Gründen die homologe Rekombination zur DNAReparatur eingeschränkt ist (Defizienz der homologen Rekombination, HRD), werden durch die zusätzliche Hemmung der DNA-Reparatur durch das Enzym PARP selektiv in die Apoptose getrieben. Die herausragende Wirksamkeit, die die drei derzeit zugelassenen PARP-Inhibitoren Niraparib (Zejula®), Olaparib und Rucaparib als Erhaltungstherapie beim rezidivierten Ovarialkarzinom gezeigt hatten, macht die Einführung der PARP-Inhibitoren beim Ovarialkarzinom zu einem „echten Meilenstein“, sagte Pietzner.

 

BRCA-unabhängige Zulassung

So hatte Niraparib in der zulassungsrelevanten Studie ENGOT-OV16/NOVA bei den Patienten mit einer BRCA-Keimbahnmutation zu einer Verlängerung de medianen PFS von 5,5 Monaten unter Placebo auf 21,0 Monate (HR=0,27; p<0,001) geführt. (4) Die Patientinnen hatten den PARP-Inhibitor als Erhaltungstherapie nach Ansprechen auf die platinbasierte Chemotherapie erhalten. Bemerkenswerterweise wurde in der NOVA-Studie in allen Subgruppen eine signifikante Verlängerung des medianen PFS durch Niraparib beobachtet, sogar bei Patientinnen ohne BRCA-Keimbahnmutation und ohne HRD (p=0,0226). Aus diesem Grund wurde Niraparib als erster PARP-Inhibitor unabhängig vom BRCA-Mutations- und Biomarkerstatus zugelassen. Mittlerweile sind alle drei PARP-Inhibitoren Niraparib, Olaparib und Rucaparib als Erhaltungstherapie für Patientinnen mit rezidiviertem high-grade Ovarialkarzinom zugelassen, wenn diese auf die platinhaltige Chemotherapie partiell oder komplett angesprochen haben. „PARP-Inhibition muss sein!“ zeigte sich Pietzner überzeugt.

„Aufgrund der in dieser Situation bisher noch nie erreichten Wirksamkeit müssen wir allen Frauen mit einem platinsensiblen Rezidiv eines Ovarialkarzinoms einen PARP-Inhibitor anbieten.“

Kleinere Unterschiede gebe es bei der Anwendung der täglich oral einzunehmenden Substanzen. So muss beispielweise Niraparib nur einmal täglich eingenommen werden und die Einnahme kann außerdem unabhängig von den Mahlzeiten erfolgen. So kann sich die Therapie an den Tagesablauf der Patientin anpassen. Eine abendliche Einnahme vor dem Zubettgehen kann zudem Übelkeit entgegenwirken. Auch im Sicherheitsprofil seien sich die drei verfügbaren Substanzen ähnlich. Bezüglich der v.a. unter Niraparib zu Beginn der Therapie auftretenden Thrombozytopenie sagte Pietzner. „Wir haben hier nicht das klinische Problem einer Hämatotoxizität, wie wir sie von einer klassischen Chemotherapie kennen“.

Unter der Niraparib-Therapie reifen die Vorläuferzellen während der Thrombopoese normal heran, dann kommt es zu einem Arrest des Megakaryozyten, der aber später normal in Thrombozyten zerfällt, so dass sich das Blutbild schnell erholt.

 

PARP-Inhibition in der Erstlinientherapie

Im Bereich der Erstlinientherapie konnte die Erhaltungstherapie mit Olaparib nach Operation und Ansprechen auf die Platin-basierte Chemotherapie bei Patientinnen mit einer BRCAMutation die Zahl an Rezidiv-freien Patientinnen nach 3 Jahren mehr als verdoppeln. Dies zeigen die noch unreifen Ergebnisse der SOLO1-Studie (5), auf deren Basis die Europäische Kommission Olaparib als Erstlinien-Erhaltungstherapie für Frauen mit BRCA-mutiertem fortgeschrittenen Ovarialkarzinom zur Zulassung empfohlen hat. Dagegen untersucht die noch laufende Phase-III-Studie ENGOT-ov26/GEICO/1509-PRIMA eine Erhaltungstherapie mit Niraparib nach der Primärtherapie bei allen Patientinnen mit unbehandeltem, fortgeschrittenem (Stadium III-IV) Ovarialkarzinom mit partieller oder kompletter Remission nach der primären Platintherapie ohne Selektionierung hinsichtlich des BRCA-Status. Ergebnisse zur Wirksamkeit (primärer Endpunkt PFS bei HRD-positiven Patientinnen) werden gegen Ende 2019 erwartet. „Von der PARP-Inhibition in der Erstlinie erhofft man sich, mehr Patientinnen heilen zu können – bis jetzt erleiden bis zu 80% der Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom nach der Primärtherapie ein Rezidiv“, erläuterte Pietzner.

 

Niraparib plus Bevacizumab

Derzeit wird eine Vielzahl an chemotherapiefreien Regimen beim Ovarialkarzinom getestet. Neben der Kombination von PARP-Inhibitor plus Immuntherapie ist das auch die Kombination PARP-Inhibition plus Antiangiogenese. So wurden auf dem ASCO 2019 Daten der ENGOTOV24/NSGO-AVANOVA2-Studie vorgestellt. (6) Die randomisierte, offene Phase-II-Studie verglich die Kombination Niraparib plus Bevacizumab mit einer Niraparib-Monotherapie bei Patientinnen mit rezidiviertem platinsensiblem Ovarialkarzinom. Die Anzahl der bereits durchlaufenen Therapielinien war nicht beschränkt, auch eine Vortherapie mit Bevacizumab war erlaubt. Das mediane PFS in der Intention-to-Treat-Population war unter der Kombinationstherapie mit 11,9 Monaten signifikant länger als unter der NiraparibMonotherapie mit 5,5 Monaten (HR 0,35; 95% CI: 0,21-0,57; p<0,001). Vorab geplante Subgruppenanalysen ergaben auch in den Subgruppen (HRD-positiv/HRD-negativ; chemotherapiefreies Intervall 6-12 Monate/> 12 Monate) eine signifikante Reduktion des Risikos für ein Fortschreiten der Erkrankung oder Tod durch die Kombination aus Angiogenese- und PARP-Inhibition. Die Kombinationstherapie war dabei gut verträglich. „Auch diese Daten machen Hoffnung“, kommentierte Pietzner. Zu den noch offenen Fragen beim Einsatz der PARP-Inhibitoren gehört die Rechallenge mit einem PARP-Inhibitor, die Wirksamkeit von PARP-Inhibitoren in der Platinresistenz und Einsatzmöglichkeiten beim lowgrade Karzinom, so Pietzner abschließend.

 

CLL – zielgerichtete Strategien lösen Chemoimmuntherapien ab

Chemotherapiefreie Regime lösen auch in der Hämatologie Chemoimmuntherapien zunehmend ab. „In der Therapie der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) gibt es noch Chemotherapiestandards, die aber in der letzten Zeit heftig unter Beschuss gekommen sind“, berichtete Prof. Clemens Wendtner, München. So gibt es eine Reihe von neuen Therapieansätzen. Ibrutinib inhibiert mit der Bruton-Tyrosinkinase (BTK) ein wichtiges Signalmolekül im BCR-Signalweg und ist sowohl für die Therapie der rezidivierten CLL als auch für deren Erstlinienbehandlung zugelassen. Der Head-to-Head-Vergleich von Ibrutinib + Rituximab mit der Chemoimmuntherapie Fludarabin, Cyclophosphamid und Rituximab (FCR), dem Chemotherapiestandard bei fitten CLL-Patienten in der Erstlinie, hatte eine deutliche Überlegenheit von Ibrutinib + Rituximab ergeben. (7) Idelalisib ist ebenfalls ein B-ZellRezeptor-Inhibitor, genauer ein PI3K-Delta-Inhibitor, und kann in der Rezidivtherapie der CLL in Kombination mit dem CD20-Antikörper Rituximab eingesetzt werden. Venetoclax (Venclyxto®) ist der erste Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse, der so genannten BCL-2Inhibitoren, und hemmt selektiv das B-Zell-Lymphom-2 (BCL-2)-Protein. Die Substanz ist in Kombination mit Rituximab ab dem ersten Rezidiv, basierend auf der sog. MURANO-Studie, zugelassen. Als Monotherapie ist Venetoclax bei Patienten mit 17p-Deletion/TP53-Mutation zugelassen, in der Erstlinie bei Nichteignung für BCR-Inhibitoren (BCRi, beispielsweise Ibrutinib), im Rezidiv nach BCRi-Vortherapie sowie bei Patienten ohne 17p-Deletion/TP53Mutation nach Vortherapie mit Chemoimmuntherapie und einem BCRi. Venetoclax wird derzeit im Kontext von Studien intensiv in der Erstlinientherapie exploriert. So wird die CLL13-Studie der Deutschen CLL Studiengruppe (DCLLSG) vier Regime als Erstlinientherapie bei fitten CLL Patienten ohne Del(17p) oder TP53-Mutation vergleichen: eine StandardChemoimmuntherapie (FCR/BR), Rituximab+Venetoclax, Obinutuzumab+Venetoclax sowie Obinutuzumab, Ibrutinib und Venetoclax. Die Rekrutierung der prospektiven, multizentrischen, randomisierten, unverblindeten Phase-III-Studie wird Anfang August schließen. Erste Ergebnisse seien in zwei Jahren zu erwarten, so Wendtner.

 

Gros der CLL-Patienten ist älter und komorbide

Der Großteil der CLL-Patienten, nämlich etwa 80%, gehört jedoch nicht zu den fitten jungen Patienten, sondern ist älter und hat Begleiterkrankungen, berichtete Wendtner. Hier bildet bis jetzt Chlorambucil+Obinutuzumab den Standard in der Erstlinientherapie.(8) „Mit dieser Kombination kann man bei älteren CLL-Patienten ein PFS von ca. 29 Monaten erzielen“, so Wendtner. Auf dem ASH 2018 wurden mittlerweile Daten der iLLUMINATE-Studie vorgestellt, in der Ibrutinib+Obinutuzumab die geschätzte PFS-Rate nach 30 Monaten um 48% (79% vs. 31%) gegenüber Chlorambucil+Obinutuzumab           verbesserte.(9) Neben einigen Nebenwirkungen sei ein großer Nachteil von Ibrutinib allerdings, dass es sich bei der oralen Therapie um eine Dauertherapie handelt, so Wendtner. „Das heißt, diese Tablette muss lebenslang täglich geschluckt werden“. Ziel der DCLLSG sei eine zeitlich begrenzte Erstlinientherapie auch für die weniger fitten, älteren Patienten zu definieren, die schließlich das Gros der CLL-Patienten darstellen.

 

CLL14-Studie: Zeitlich begrenzte Therapie mit Venetoclax+Obinutuzumab vs. Chlorambucil+Obinutuzumab

Aus diesem Grund wurde das CLL14-Protokoll aufgesetzt: Die offene randomisierte Phase-IIIStudie verglich Wirksamkeit und Verträglichkeit von Venetoclax und Obinutuzumab mit Chlorambucil plus Obinutuzumab bei 432 unbehandelten CLL-Patienten mit Komorbiditäten. Ergebnisse der Studie wurden auf dem ASCO- und dem EHA-Kongress 2019 prominent präsentiert und zeitgleich im New England Journal of Medicine publiziert. (10, 11) „Entscheidend ist, dass es sich um eine zeitlich begrenzte, nämlich auf 12 Monate fixierte Therapie handelt“, kommentierte Wendtner. In der Studie hatten in beiden Armen über 50% der Patienten einen unmutierten IGHV-Status. „Diese Patienten haben unter einer klassischen Chemoimmuntherapie eine eher schlechte Prognose, während Patienten mit einem mutierten IGHV-Status gut auf eine solche Chemoimmuntherapie ansprechen“, erläuterte Wendtner.

„Der internationale prognostische Index CLL-IPI Total Score war größtenteils hoch und auch der CIRS (cumulative illness ratings score) lag im Median bei 8 und 9, das heißt wir haben hier ein geschwächtes Kollektiv mit relevanten Komorbiditäten“, erläuterte Wendtner.

 

Sehr tiefes Ansprechen unter Venetoclax+Obinutuzumab

Die Gesamtansprechrate lag bei 84,7% unter Venetoclax+Obinutuzumab und 71,3% unter Chlorambucil+Obinutuzumab (p=0,001), entscheidender aber seien die Ergebnisse bei den kompletten Remissionen (CR), so Wendtner. So wurde unter Venetoclax+Obinutuzumab eine CR-Rate von 49,5% beobachtet im Vergleich zu 23,1% unter Chlorambucil+Obinutuzumab (p<0,001). „Hier handelt es sich um wirkliche komplette Remissionen nach Knochenmarkspunktion. Die Rate hat sich mehr als verdoppelt, das ist für ein Alterskollektiv enorm. So haben wir das noch mit keiner anderen Substanzkombination gesehen“, kommentierte Wendtner. Im peripheren Blut lag die Rate der undetectable minimal residual disease (uMRD-Rate), mit einem Cut-off bei 10-4 bei 76% der mit Venetoclax+Obinutuzumab behandelten Patienten gegenüber 35% unter Chlorambucil-Obinutuzumab. „Die Rate der Patienten mit weniger als 1 CLL-Zelle auf 10.000 Zellen im peripheren Blut war im Venetoclax-Arm damit mehr als verdoppelt“, erklärte Wendtner. Im Knochenmark war die MRD-Rate unter Venetoclax+Obinutuzumab mit 57% mehr als verdreifacht gegenüber Chlorambucil+Obinutuzumab (17%). Neben PCR-basierten Methoden wird heute auch Next Generation Sequencing (NGS) eingesetzt, um die Tiefe des Ansprechens zu bestimmen. In der CLL14-Studie wurde mit dem ClonoSeq Assay gearbeitet, der eine Sensitivität bis 10-6 aufweist. „Weniger als 1 CLL-Zelle unter 1 Millionen Zellen – sensitiver geht es nach heutiger Methodik nicht mehr“, so Wendtner. Auf diesem Niveau waren unter Venetoclax+Obinutuzumab 31% MRD-negativ, unter Chlorambucil+Obinutuzumab nur 4,2%. Auch im 12-monatigen Follow-Up nach dem Absetzen der Therapie blieb die hohe Rate an MRD-Negativität unter Venetoclax+Obinutuzumab weitgehend bestehen, während sie im Chlorambucil+Obinutuzumab-Arm kontinuierlich zurückging.

 

Überlegenes PFS im Venetoclax-Arm

Nach einem medianen Follow-Up von 29,1 Monaten war in beiden Armen das mediane PFS noch nicht erreicht. Im Vergleich der Kaplan-Meier-Kurve zeigt sich dennoch ein „ein haushoher Vorteil“ für Venetoclax+Obinutuzumab und eine Reduktion des Risikos für Progression oder Tod um 65% (HR 0,35; 95% CI: 0,23-0,53; p<0,0001) gegenüber der Chemoimmuntherapie im Investigator Assessed Review. Bei der Beurteilung des PFS durch ein Independent Review Committee lag die Risikoreduktion bei 67% (95% CI:0,22-0,51; p<0,001). Diese Risikoreduktion zeigte sich über alle untersuchten Subgruppen hinweg. Nach zwei Jahren – und damit mehr als ein Jahr nach Studienende – lag die von den Prüfern der CLL14-Studie beurteilte PFS-Rate unter Venetoclax+Obinutuzumab bei 88,2% versus 64,1% im Chemoimmuntherapie-Arm. Beim Gesamtüberleben zeigte sich nach dem frühen Zeitpunkt von 29 Monaten erwartungsgemäß noch kein Unterschied. Die Verträglichkeit der Therapie war in beiden Armen ähnlich, so Wendtner. „Durchfälle waren unter Venetoclax etwas häufiger, aber diese waren meist leicht ausgeprägt, es wurden nur 4,2% Grad 3/4-Diarrhoen beobachtet.“

In den USA wurde die Kombination Venetoclax+Obinutuzumab bereits im Mai 2019 durch die FDA als Erstlinientherapie der CLL und des kleinzelligen lymphozytischen Lymphoms (SLL) zugelassen. „Hier haben wir ein sehr breites Label, es erfolgte keine Einschränkung auf alte und/oder komorbide Patienten“, erläuterte Wendtner. Die europäische Zulassung durch die EMA ist noch nicht erfolgt, wird aber in den nächsten Monaten erwartet. In den Leitlinien der DCLLSG geht man noch konservativ davon aus, dass die Zulassung von Venetoclax-Obinutuzumab im Unterschied zu FDA bei den Slow Go-Patienten erfolgen wird.

 

Zukünftige Perspektiven

„Diese Therapie hat den großen Vorteil, dass es sich um eine zeitlich begrenzte Therapie handelt und wir stellen uns nun die Frage, ob man diese zeitlich begrenzte Therapie nicht noch effektiver machen kann“, so Wendtner. So haben kürzlich frühe Daten einer kleinen Phase-IIStudie mit Ibrutinib plus Venetoclax sehr gute Ansprechraten gezeigt (12) und das neue CLL17-Protokoll wird Ibrutinib als Dauertherapie gegen Venetoclax+Obinutuzumab über 12 Monate und Venetoclax+Ibrutinib über 12 Monate vergleichen. Wendtner zufolge ist nach Ende einer 12-monatigen Venetoclax-basierten Therapie eine Re-Induktion möglich, CLLZellen entwickelten nach bisherigen Daten nur selten eine Resistenz gegenüber Venetoclax.

Autorin: Mascha Pömmerl, Feldkirchen-Westerham

 

Literatur

  1. Tripathy D et al. Lancet Oncol 2018; 19:904-915
  2. Hurvitz SA et al. J Clin Oncol 37, 2019 (suppl; abstr LBA1008
  3. Im SA et al. New Engl J Med 2019; Jun 4. doi: 10.1056/NEJMoa1903765. [Epub ahead of print]
  4. Mirza MR et al. New Engl J Med 2016;375:2154-64
  5. Moore K et al. N Engl J Med 2018;379:2495-2505
  6. Mirza MR et al. J Clin Oncol 37, 2019 (suppl; abstr 5505)
  7. Shanafelt TD et al. ASH 2018, Abstract #LBA-4
  8. Goede V et al. N Engl J Med 2014;370:1101-10
  9. Moreno C et al. ASH 2018, Abstract # 691
  10. Fischer K et al. J Clin Oncol 37, 2019 (suppl; abstr 7502)
  11. Fischer K et al. N Engl J Med 2019;380:2225-36
  12. Wendtner CM. Lancet Haematol 2019 Jun 13. pii: S2352-3026(19)30105-X. doi: 10.1016/S23523026(19)30105-X. [Epub ahead of print]

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Quelle: 45. Münchener Fachpresse-Workshop der POMME-med am 25.06.2019 in München; Gemeinsame Sponsoren: AbbVie Deutschland GmbH & Co. KG, Novartis Pharma GmbH, TESARO Bio Germany GmbH (tB).

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