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47. Münchener Fachpresse-Workshop

Aktuelle Themen aus der Onkologie

 

München (23. Oktober 2019) — Drei unterschiedliche Aspekte aus der Onkologie standen im Mittelpunkt des ersten Teils des 47. Münchener Fachpresse-Workshops der POMME-med: Das Risiko für systemische Mykosen unter neuen Immuntherapeutika und der Umgang damit, die erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität durch myeloproliferative Erkrankungen und die Entwicklung der Sequenztherapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms.

Neue Immuntherapeutika haben teilweise erstaunliche Wirksamkeit bei verschiedenen Tumorentitäten gezeigt. Aber man muss das Risiko für infektiöse Nebenwirkungen wie invasive Mykosen im Auge behalten, betonte PD Dr. Matthias Kochanek, Köln. Solche Probleme seien nicht nur am Anfang der Therapie zu erwarten, sondern können auch noch mit einer deutlichen zeitlichen Latenz auftreten.

 

Infektion oder immunvermittelte Nebenwirkung

Das Risiko für systemische Infektionen steigt unter Immuntherapeutika aus mehreren Gründen: Zum einen greifen diese Substanzen sehr massiv ins Immunsystem ein. Weiter tragen immunsuppressive Komedikationen wie Corticosteroide dazu bei. Außerdem schränkt schon die Grunderkrankung den Immunstatus des Patienten ein und ausgedehnte Vortherapien, z.B. Chemotherapien und Bestrahlungen haben auch oft bereits Spuren im Immunsystem hinterlassen. Stärker beachtet werden sollte auch das Patienten-spezifische Risiko, z.B. allein durch die Umgebung, in der der Patient lebt. Von einer feuchten Wohnung, in der Schimmelpilze wachsen, geht erhebliche Gefahr aus, betonte Kochanek. „Wir sehen uns deshalb die Wohnumgebung unser allogen transplantierten Patienten selbst an, um solche Risikofaktoren möglichst zu eliminieren“, berichtete Kochanek.

In Zulassungsstudien für neue Antitumormedikamente wurden Infektionen als Nebenwirkungen uneinheitlich definiert und meist nur unspezifisch erfasst. Ein Problem besteht auch darin, dass Infektionen gerade beim Einsatz von Checkpoint-Inhibitoren oft nur schwer von immunvermittelten Reaktionen zu unterscheiden sind, erklärte Kochanek. Für CTLA4-Antikörper wie Ipilimumab werden bis zu 90% immunvermittelte Nebenwirkungen angegeben, für Anti-PD-1/PD-L1-Antikörper wie Nivolumab und Pembrolizumab bis zu 70%. (1) Die Rate schwerer Infektionen, darunter auch invasive Aspergillosen, betrug in einer retrospektiven Untersuchung unter Checkpoint-Inhibitoren 7,3%. (2)

Als hocheffektiv bei verschiedenen hämatologischen Neoplasien hat sich der BrutonTyrosinkinase-Hemmer (BTK-Hemmer) Ibrutinib erwiesen. Die Kehrseite der Medaille sind auch hier infektiöse Nebenwirkungen, darunter invasive Pilzinfektionen wie Aspergillose und Cryptococcose, für die in Studien eine Häufigkeit von 3-4% ermittelt wurde. (3,4) Als Risikofaktoren für das Auftreten invasiver Pilzinfektionen haben sich in diesen Studien mehrfache Vorbehandlungen, Lymphopenie, eine längerdauernde Corticosteroid-Therapie, Diabetes mellitus und Lebererkrankungen erwiesen.

Als Therapie der ersten Wahl von invasiven Aspergillosen werden Voriconazol und Isavuconazol empfohlen, bei Patienten mit besonders hohem Risiko auch eine Prophylaxe mit Posaconazol. (5) Der Einsatz von Azolderivaten verlangt jedoch ein therapeutisches DrugMonitoring. Außerdem müssen Interaktionen mit Immuntherapeutika beachtet werden. Eine alternative und bewährte Therapieoption stellt liposomales Amphotericin-B (AmBisome®) dar.

 

Starke Belastung durch Myelofibrose-assoziierte Symptome

Patienten mit myeloproliferativen Neoplasien leiden oft schwer und chronisch unter Symptomen wie Fatigue, Juckreiz, Nachtschweiß und Bauch- oder Knochenschmerzen. Mit Abstand am meisten belastet die Patienten offenbar die Fatigue. (6) Dieses Symptom ist nach außen nicht sichtbar und wird deshalb von der Umwelt oft nicht als Problem wahrgenommen. Trotzdem kann die Fatigue aber alle Lebensbereiche so stark beeinträchtigen, dass psychische, körperliche und soziale Folgesymptome auftreten, betonte Dr. Michael Köhler, Magdeburg. In klinischen Studien werden oft nur hochgradige Nebenwirkungen (Grad 3 und 4) erfasst. Dabei haben auch die leichten bis mittelschweren Nebenwirkungen myeloproliferativer Erkrankungen erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität. (6)

Zugelassen zur Therapie krankheitsbedingter Symptome bei erwachsenen Patienten ist der Janus-Tyrosinkinase 1/2-Inhibitor (JAK 1/2-Inhibitor) Ruxolitinib (Jakavi®). In der noch laufenden Phase-IV-Studie JAKoMo wird der Einfluss dieses Medikaments auf solche Symptome mit einem validierten Fragebogen untersucht. In einer aktuellen Analyse wurden 855 Patienten aus 100 Zentren in Deutschland evaluiert, davon 436 JAK-Hemmer-naive (Arm A) und 419 JAK-Hemmer-vorbehandelte Patienten (Arm B). Erfasst wurden die Symptome mittels Myeloproliferative Neoplasm Symptom Assessment Form (MPN-SAF) und 36-Item Short Form Health Survey (SF-36).

Der initiale MPN-SAF-Score lag bei den vorbehandelten Patienten initial niedriger als bei den therapienaiven Patienten. Köhler erklärte dies damit, dass schon die Vorbehandlung Positives geleistet habe. Aber in beiden Gruppen nahm der Score bereits in einem Monat signifikant ab, im Arm A um 7,7 und im Arm B um 1,8 Punkte (p < 0,001). Das Ergebnis im Arm A verbesserte sich im weiteren Verlauf bis Monat 24 stetig, im Arm B blieb es stabil. Im SF-36 erreichten die Patienten im Arm A im Verlauf der Studie klinisch relevante Verbesserungen in 6 von 8 Subscores: Körperliche Rollenfunktion, Schmerzen, allgemeiner Gesundheitszustand, Vitalität/Fatigue, soziale Funktionsfähigkeit, psychisches Wohlbefinden. Auch der körperliche und der psychische Summenscore verbesserten sich in klinisch relevanter Weise. Im Arm B verminderte sich der Summenscore zur körperlichen Lebensqualität signifikant, ebenso der Subscore körperliche Funktionsfähigkeit. Ein Trend zur Verbesserung zeigte sich auch beim Subscore Schmerzen.

 

Fortgeschrittenes CRC: Von der Erst- zur Drittlinie

Die Chemotherapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms (CRC) begann mit 5Fluorouracil (5-FU) in den 80er Jahren. Die Substanz blockiert, wenn sie als Dauerinfusion verabreicht wird, die DNA-Synthese, und als Bolus gegeben, die RNA-Synthese. Prof. Dr. Meinolf Karthaus, München, erinnerte daran, dass vor allem die 90er Jahre geprägt waren durch wahre „Glaubenskriege“, welche Applikationsform überlegen ist. Weitere Stationen der Chemotherapie waren 5-FU-Dauerinfusion plus Leucovorin, 5-FU plus Irinotecan/Oxaliplatin und FOLFOXIRI. Mit jedem Schritt konnten Responseraten und Überleben verbessert werden.

Die Entdeckung von KRAS als prädiktivem Biomarker brachte zielgerichtete Anti-EGFRTherapien wie Cetuximab oder Panitumumab ins Spiel. Doch nur Patienten mit KRAS-Wildtyp, die ohnehin eine günstigere Prognose aufweisen, profitieren von dieser Zusatzmedikation in der Firstline. Das gilt vor allem, wenn der Primärtumor im linken Kolon lokalisiert ist, so Karthaus. Die FIRE-3-Studie fand für FOLFIRI plus Cetuximab ein vergleichbares progressionsfreies Überleben (PFS) wie für FOLFIRI plus Bevacizumab, aber ein signifikant besseres Gesamtüberleben. (7) Der Unterschied lasse sich durch eine tiefere Remission unter der Cetuximab-Kombination erklären, so Karthaus.

KRAS-Wildtyp-Patienten mit einer EGFR-gerichteten Firstline-Therapie können in der Zweitlinie einen Überlebensvorteil durch eine VEGF-Antikörper-basierte Therapie erreichen.

Der Nutzen der umgekehrten Reihenfolge (VEGF-gerichtete Therapie zuerst, dann EGFRTherapie) ist weniger gut gesichert. Wenn auch die Zweitlinientherapie versagt, kann man Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf®) einsetzen. Tipiracil (TPI) hemmt die Thymidinphosphorylase (TP) und verhindert damit die Inaktivierung des Antimetaboliten Trifluridin (FTD), so dass dieser länger wirksam bleibt. FTD/TPI hat beim metastasierten kolorektalen Karzinom in der RECOURSE-Studie im Vergleich zu Placebo einen signifikanten Überlebensvorteil von etwa zwei Monaten gebracht (7,1 vs. 5,3 Monate; p < 0,0001) – bei überschaubarem Nebenwirkungsprofil. (8) Der Effekt war am stärksten bei Patienten mit geringer Tumorlast und wenig aggressiver Erkrankung.

Seit neuestem ist die Substanz auch beim metastasierten Magenkarzinom zugelassen, wenn mindestens zwei vorangegangene Chemotherapien versagt haben, ergänzte Karthaus. Basis dafür war die Phase-III-Studie TAGS, die im Vergleich zu Placebo einen Überlebensvorteil von 5,7 Monaten versus 3,6 Monaten in der Placebogruppe (p = 0,0003) gezeigt hat. (9) „Zwei Monate ist beim Magenkarzinom eine Menge“, kommentierte Karthaus.  Angelika Bischoff, Planegg

 

 

Literatur

  1. Michot JM et al. Eur J Cancer 2016; 54: 139-148
  2. Del Castillo M et al. Clin Infect Dis 2016; 63: 1490-1493
  3. Varughese T et al. Clin Infect Dis 2018; 67: 687-692
  4. Rogers K et al. Blood 2017; 130 (Suppl 1): Abstract 830
  5. Ullmann AJ et al: Clin Microbiol Infect 2018; 24 Suppl 1: e1-e38
  6. Harrison CN et al. Ann Hematol 2017; 96: 1653-1665
  7. Heinemann V et al. Lancet Oncol 2014; 15: 1065-1075
  8. Mayer R et al. N Engl J Med 2015; 372: 1909-1919
  9. Shitara K et al. Lancet Oncol 2018; 19: 1437-1448

 


Quelle: Vormittagssitzung des 47. Münchener Fachpresse-Workshop der POMME-med am 23.10.2019 in München; Gemeinsame Sponsoren: Gilead Sciences GmbH, Novartis GmbH, Servier Deutschland GmbH  (tB).

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