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Konferenzbericht vom virtuellen Münchener Fachpresse-Workshop
Supportive Therapie in der Onkologie
München (17. März 2021) — Beim virtuellen Münchener Fachpresseworkshop der POMME-med GmbH am 17. März 2021 stand einmal wieder die Supportivtherapie in der Onkologie im Fokus. „Die supportive Therapie sollte Krebspatienten ab der Diagnosestellung über den gesamten Verlauf ihrer malignen Erkrankung begleiten“, sagte Prof. Dr. med. Petra Feyer, Berlin, die Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Supportive Maßnahmen in der Onkologie (AGSMO) der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. Sie ging in ihrem Vortrag auf einige Highlights des erstmals virtuell durchgeführten AGSMO-Kongresses am 6. März 2021 ein (1). Weiter standen Knochengesundheit bei onkologischen Patient*innen und das Diarrhö-Management auf dem Programm dieses Fachpresse-Workshops. Wie ein risikoadaptierter Knochenschutz unter einer endokrinen Therapie in der Onkologie gestaltet werden sollte, erläuterte Prof. Dr. med. Florian Schütz, Speyer. Diarrhöen, als ein zentrales Problem vieler Tumortherapien, sollten leitliniengerecht behandelt werden, betonte Prof. Dr. med. Joachim Drevs, Sickte, und ging auch auf schwere Verläufe ein. Hier wird u.a. Opiumtinktur empfohlen, für die es seit einiger Zeit ein GMP-konformes Fertigarzneimittel gibt.
Ein Highlight des virtuellen AGSMO-Kongress (1), war so Feyer, der Vortrag von Dr. Fiona Streckmann, Basel zur Chemotherapie-induzierten peripheren Neuropathie (CIPN). Diese ist eine sehr prävalente und klinisch hochrelevante Nebenwirkung vieler onkologischer Therapien. Eine spezifische Bewegungstherapie könne laut Klasse IIC-Empfehlung in den ESMO-Leitlinien (2) die Beschwerden lindern. Nach Ansicht von Streckmann wird ein solches Sensomotorik- oder Vibrationstraining in der Supportivtherapie neuropathischer Patienten jedoch bislang unterschätzt. Es sollte von den Kolleginnen und Kollegen häufiger angewendet und empfohlen werden.
Immunvermittelte Toxizitäten treten meist innerhalb der ersten zwölf Wochen nach Therapiebeginn auf. Häufig handele es sich, um dermatologische Nebenwirkungen, Lebertoxizitäten oder Diarrhöen, zitierte Feyer den Vortrag von Kathrin Heinrich, München. Die Hypophysitis gehöre zu den seltenen, aber gravierenden Nebenwirkungen. Dabei besteht ein höheres Nebenwirkungsrisiko unter CTLA-4-Antagonisten oder Kombinationstherapien verglichen mit PD(L)1-Inhibitoren allein. Die meisten Nebenwirkungen können mit Steroiden gut behandelt werden. Diese sollten jedoch langsam ausgeschlichen werden. Eine ReExposition mit einem Checkpointinhibitor ist auch nach nebenwirkungsbedingtem Therapieabsetzen möglich (3).
Knochenschutz – ein wichtiges Element der Supportivtherapie
„Die Knochenprotektion sowohl in der adjuvanten als auch in der metastasierten Situation des hormonrezeptorpositiven Mammakarzinoms ist ein wichtiges Thema“, sagte Prof. Dr. med. Florian Schütz, Speyer. Denn die Chemotherapien wirken sich ebenso wie antihormonelle Therapien negativ auf die Knochendichte aus und erhöhen die Frakturgefahr – und das meist in einer Situation, in der die Frauen menopausebedingt ohnehin schon einen KnochendichteVerlust aufweisen.
Die Aromataseinhibitor(AI)-Therapie bei postmenopausalen Frauen verringert die Knochendichte und erhöht das Frakturrisiko, wie die Zulassungsstudien der drei verfügbaren Aromatasehemmer zeigen (4,5,6). Tamoxifen hingegen beeinflusst das Frakturrisiko nach der Menopause nicht. Beim prämenopausalen Mammakarzinom sei das anders, betonte Schütz. Hier erhöht Tamoxifen das Frakturrisiko der Patientinnen (7). Insgesamt gilt, je stärker die ovarielle Hormonbildung durch verschiedene endokrine Therapeutika allein oder in Kombination unterdrückt wird, desto höher ist die Osteoporose Rate (8). Daher benötigen Frauen mit diesen Therapien unbedingt einen risikoadaptierten Knochenschutz, appelliert Schütz.
Risikofaktoren für Osteoporose und Frakturen
Bei jeder Patientin mit Indikation für eine endokrine Therapie sollte zunächst ihr Basisrisiko für eine Osteoporose beziehungsweise Frakturen bestimmt werden. Dieses ergibt sich aus der Familienanamnese, zusätzlich prädisponieren Untergewicht, Immobilität, Rauchen und Kortison-Einnahme. Ganz entscheidend für das Frakturrisiko sei der Knochendichtestatus vor bzw. bei Therapiebeginn, meint Schütz. Liegt bereits vor Therapiebeginn eine verminderte Knochendichte im Sinne einer Osteoporose vor, ist das Risiko für eine Fraktur doppelt so hoch verglichen mit Frauen ohne Osteoporose (9). „Ich schicke alle Patienten, bei denen ich eine potenziell die Knochendichte mindernde Therapie ansetze, zur Knochendichtemessung, die leider bis heute von den Kassen nicht vollständig erstattet wird,“ empfahl Schütz. Ob eine knochenschützende Therapie notwendig ist, sollte immer individuell anhand der Leitlinie „Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose“ des Dachverbands für Osteologie DVO nachgeschlagen werden (10).
Therapie und Prävention des Tumortherapie induzierten Knochenmasseverlusts
Zu den Präventions- und Therapiemaßnahmen mit dem höchsten Evidenzgrad gehören Nikotinverzicht, mäßiger Alkoholkonsum und die Vermeidung von Untergewicht (< 20 kg/m2). Sehr wichtig sind auch körperliche Aktivität, die Vermeidung von Immobilisation und die Zufuhr von Kalzium und Vitamin D3. Medikamentös sind Bisphosphonate oder der RANK Ligand Antikörper Denosumab (Prolia®), der die Osteoklastenaktivität inhibiert, indiziert. Beide sind von der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) Mamma als Doppel-PlusEmpfehlung gekennzeichnet, und damit geeignet einer Tumortherapie induzierten Osteoporose entgegenzusteuern bzw. diese zu behandeln (11).
Die Osteoprotektion mit Denosumab ist sehr effektiv, wie die ABCSG-18-Studie mit 3.425 Patientinnen zeigen konnte. Denosumab (60 mg s.c. alle sechs Monate) konnte die Rate an osteoporotischen Frakturen nach 3 Jahren nahezu halbieren von 174 auf 92 (HR 0,5; 95%-KI: 0,39-0,65; p < 0,0001). Dabei mussten 20 Patientinnen behandelt werden, um eine Fraktur zu vermeiden (12). „In der Onkologie ist das eine sensationelle ‚Number Needed to Treat‘, sagte Schütz und fasste zusammen: „Die Prognoseverbesserung durch eine endokrine Therapien erhöht das Osteoporose- und Frakturrisiko. Diese Knochenproblematik kann jedoch durch konservative und medikamentöse Maßnahmen wirkungsvoll abgefangen werden.“
Osteoprotektive Therapie bedeutet Lebensqualität für Krebspatienten
Die in 2020 publizierten ESMO Leitlinie “Bone Health in Cancer” (13) bildet ein Rahmenwerk, um die Knochengesundheit onkologischer PatientInnen zu bewahren. Die Osteoprotektion mit z.B. Bisphosphonaten oder Denosumab unterdrückt die Knochenresorption. Damit senkt die antiresorptive Therapie auch das Risiko für Knochenkomplikationen und bewahrt die Lebensqualiät. Für die überwiegende Mehrheit der PatientInnen empfehlen die Autoren der ESMO-Leitlinie – nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiken- mit einer osteoprotektiven Therapie zu beginnen, sobald Knochenmetastasen diagnostiziert sind, unabhängig davon, ob diese symptomatisch sind oder nicht.
Diarrhö – ein schwerwiegendes Problem bei onkologischen Patienten
„Diarrhöen sind ein häufiges Problem unter onkologischen Therapie, über das weder Patienten noch Ärzte gerne sprechen“, sagte Professor Dr. med. Joachim Drevs, Sickte. Bereits Diarrhöen ab CTCAE-Grad 2 (14), definiert als Erhöhung der Stuhlfrequenz um 4-6 Stühle über die individuelle Normalfrequenz hinaus, schränken die Tätigkeiten des Alltaglebens stark ein. Zur Erinnerung, Diarrhöen ab Grad 3 können bereits eine Hospitalisierung erfordern.
Bei Tumorpatienten treten Diarrhöen mit einer Inzidenz von bis zu 80% auf, wovon es sich bei 30% um schwere Fälle handelt, erläuterte Drevs. Diese sind nicht nur chemo- oder strahlentherapiebedingt. Auch die neueren Immun- und zielgerichteten Therapien können – zwar mit anderen Pathomechanismen, aber deswegen nicht minder nachteilig – den Gastrointestinaltrakt schädigen.
Als ein Beispiel nannte Drevs den gegen CTLA-4 gerichteten Checkpointinhibitor Ipilimumab, der in einer Dosierung von 3mg/kg bei etwa 30% der Melanompatienten mit einem metastasierendem, nichtresektablem Melanom zu immunvermittelten Diarrhöen führt (15). Auch beim Einsatz von zielgerichteten Therapeutika treten oft Diarrhöen auf. Die Rate von Grad 2/3 Diarrhöen unter dem Tyrosinkinaseinhibitor Vemurafenib bezifferte Drevs mit 18% (16).
Therapiealgorithmus der Diarrhö bei Tumorpatienten
Grundsätzlich sollten bei einer Diarrhö Flüssigkeits- und Elektrolytverluste oral oder intravenös substituiert werden. Liegt eine therapieassoziierte Diarrhö vor, ist Loperamid die Therapie der ersten Wahl. Initial wird mit 4mg begonnen, gefolgt von 2mg nach jedem ungeformten Stuhl. Wie Drevs betonte liege die maximale Tagesdosis in der Onkologie bei 16 mg, wobei diese von der Fachgesellschaften und Leitlinien empfohlene Dosierung höher als die laut Fachinformation von 12 mg liegt. Ist nach 48 Stunden keine Besserung eingetreten, kann als eine wirksame und unbedenkliche Zweitlinientherapie auf Opiumtinktur umgestellt werden. Bei den Wirkstoffen der Opiumtinktur handelt es sich um verschiedene Alkaloide wie Morphin, Codein, Narcotin, Papaverin und Narcein. Laut DGHO-Leitlinie seien Opiat-Antidiarrhoika eine wesentliche Stütze der symptomatischen Therapie, wenn eine zielgerichtete Behandlung nicht möglich ist (17). Allerdings ist ein BtM-Rezept erforderlich. Drevs wies darauf hin, dass es im Darm und im enterischen Nervensystem nach Opiatgabe keine Toleranzentwicklung gegenüber der obstipierenden Opiatwirkung gebe. Auch benötige man für die antidiarrhoische Wirkung eine um den Faktor 3-7 deutlich geringere Dosierung als in der Schmerztherapie.
Opiumtinktur jetzt als kontrolliertes GMP-konformes Fertigarzneimittel
Seit kurzem gibt es ein GMP (Good Manufacturing Practice)-konformes OpiumtinkturFertigarzneimittel unter dem Handelsnamen Dropizol®. Es ist auf 10 mg/ml Morphin standardisiert und enthält als weitere synergistisch wirkende Bestandteile Kodein, Papaverin und Thebain. Damit basiert es auf der jahrelang unveränderten eingestellten Opiumtinktur (18).
Bei den meisten Patienten genüge eine Dosis von morgens und abends 5 Tropfen (entspricht 5mg Morphin täglich; Umrechnung: 10mg Morphin = 20 Tropfen = 1ml Dropizol) (19), um die Diarrhö einzustellen, erläuterte Drevs und empfahl, mit dieser Dosierung die Therapie zu beginnen. Tritt keine angemessene Linderung ein, kann die Dosis am Folgetag um 1 Tropfen bei jeder Gabe erhöht werden.
Drevs leitet ein Studienzentrum der prospektiven Beobachtungsstudie CLARIFY DROPIZOL, einer interdisziplinären Studie zur Anwendung und den Behandlungsergebnissen von Opiumtinktur bei schwerer Diarrhö. Er zeigte die Ergebnisse einer Interimsanalyse, die sechs ambulant behandelte Patienten einschloss. Alle Patienten hätten von der Behandlung profitiert, die Stuhlfrequenz habe sich deutlich reduziert bis normalisiert.
Als ‚Take Home Message‘ empfahl Drevs den Kolleginnen und Kollegen, ihre Patienten gezielt nach Durchfall zu fragen, um rechtzeitig und leitliniengerecht behandeln zu können.
Literatur
- Virtueller Kongress der Arbeitsgemeinschaft Supportive Maßnahmen in der Onkologie (AGSMOKongress), 6. März 2021
- Beijers AJM et al. Ann Oncol 2020,31:131-136
- Haanen JBAG et al. Ann Oncol. 2017;28(suppl_4):iv119-iv142
- Howell A et al. Lancet 2005;365(9453):60-2
- Thürlimann et al. N Engl J Med 2005;353:2747-57
- Coombes RC et al. N Engl J Med 2004;350:1081-92
- Kyvernitakis I et al. Osteoporosis Int 2018,29(11):2557-64
- Francis PA et al. N Engl J Med 2018; 379:122-37
- Bouvard B et al. Ann Oncol 2014; 25(4):843-47
- www.dv–osteologie.org – Leitlinien, Kitteltaschenversion, S.4, Tabelle 4.2
- AGO Mamma, Guidelines Breast, Version 2021.1D; www.ago–online.de
- Gnant M et al. J Clin Oncol 200;25:820-28
- Gnant M et al. Lancet 2015;386:433-43
- Coleman R et al. Ann Oncol 2020; 31(12):1650-33
- CTCAE Version 5.0, abrufbar unter https://ctep.cancer.gov/protocolDevelopment/electronic_applications/docs/CTCAE_v5_Quick_Referen ce_5x7.pdf
- Hodi FS et al. N Engl J Med 2010;363:711-23
- Chapman PB et al. N Engl J Med. 2011;364:2507-16
- Schmidt-Hieber M et al. Ann Hematol. 2018;97(1):31-49
- Fachinformation Dropizol® 10mg/ml Tropfen, Stand August 2019
Autorin: Dr. rer. nat. Carola Göring, Weilheim i. OBB
Quelle: Virtueller Fachpresse-Workshop „Onkologische Supportivtherapie im Fokus“ der POMME-med GmbH am 17. März 2021 (tB).
Schlagwörter: Diarrhö, Onkologie, Osteoporose, Supportivtherapie